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Zum Begriff der Arbeit aus feministischer Perspektive

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Was ist Arbeit?

Die heutige westliche «Arbeitsgesellschaft» ist im Wesentlichen immer noch so struktu­riert, dass von einem «Normalarbeitsverhältnis» ausgegangen wird, in dem Männer ei­ner Erwerbsarbeit nachgehen, während der Arbeitsbereich der Frauen in Familie und im sozialen Ehrenamt verortet ist, allenfalls ergänzt durch einen weiblichen «Zuverdienst». Diesem Arbeitsverständnis liegt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach dem Vor­bild der bürgerlichen Kleinfamilie zugrunde, wie sie sich Mitte des 19. Jahrhunderts her­ausgebildet hat. Auch die Arbeitsmänner der unteren Schichten drängten nach diesem Familienmodell, obwohl es für Arbeiterhaushalte nie wirklich funktioniert hat, weil der Verdienst des «Haupternährers» meist gar nicht ausgereicht hat, um die Familie zu er­nähren.

Industrie- und arbeitssoziologische Theorien zur Erklärung von menschlicher Arbeit – außerhalb der Frauenforschung – beziehen sich bis heute meist auf die Arbeit, die der (männliche) Lohnarbeiter in Industrie und Verwaltung leistet. Untersuchungsobjekte und -subjekte, Beschäftigte oder Arbeitspersonen, Betroffene oder Akteure sind schein­bar «geschlechtsneutral», egal ob in der Schwerindustrie, in der kleinen Fabrik, im Kauf­haus oder Krankenhaus gearbeitet wird. Manche Arbeitsbereiche, wie die prekäre Arbeit, hat die Industriesoziologie erst entdeckt, als auch Männer betroffen waren (Leiharbeit). Das geschlechterunspezifische Herangehen wird selbst dann beibehalten, wenn «Zu­kunftsmodelle» entwickelt werden. Ein solche Vorgehen verdeckt nicht nur die Tatsache, dass bezahlte Arbeiten hauptsächlich durch Männer und Frauen erbracht werden, son­dern vertuscht auch, dass es vor allem Frauen sind, die immer noch und immer wieder auf die niedrig oder gar nicht entlohnten und mit geringem gesellschaftlichem Ansehen verbundenen Arbeitsbereiche verwiesen werden. Beispiele sind «Bürgerarbeit», «Bürger­schaftliches Engagement», beides Bezeichnungen für Arbeitsbereiche die – besonders im Sozial- und Gesundheitsbereich – weit überwiegend durch Frauen besetzt sind.

Der immer noch und immer wieder als «Restbereich» bezeichnete Teil der menschli­chen Arbeit, die Arbeit, die für die sog. Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft not­wendig ist, bleibt in den meisten Veröffentlichungen zur Arbeit der Zukunft weiterhin privat, unbezahlt, angeblich unbezahlbar, jedenfalls unsichtbar. Frauen, die außerhalb bezahlter Lohnarbeit Arbeiten verrichten, wurden nie zu denjenigen gezählt, die gesell­schaftliche Arbeit leisten, wie der Blick in die Geschichte der Frauenarbeit beweist (Notz 1986: 139ff.). Freilich ist die Positionierung der Frauen in Küchen und Kinderzimmern nicht ohne ihr Zutun zu begreifen (vgl. Haug 1999). Und die bloße Behauptung, die Hausarbeit sei ebenso produktive Arbeit, die in Verbindung mit der in den großen Fa­briken geleisteten Arbeit für die Vergrößerung des Mehrwerts sorge, ändert (noch) nichts an den geschlechterhierarchischen Zuschreibungen und an der Tatsache, dass diejenigen, die sie leisten, von ihrem Ertrag nicht existieren können.

Das Beharren auf einem Verständnis von Arbeit als Produktionsarbeit stützt sich nicht zuletzt auf die Marx’sche Darstellung im ersten Band des Kapital (1867). Danach bildet der Arbeitsprozess die allgemeine Grundlage des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur. Arbeit dient (unter kapitalistischen Bedingungen) ausschließlich der Herstellung von Gebrauchswerten als Tauschwerten. Sie basiert auf dem Zusammenwirken vieler lohnarbeitender Individuen. Durch die Gesamtheit verschiedener Arbeitstätigkeiten werden dieser Theorie zufolge die materiellen Grundlagen des Lebens geschaffen.

Arbeit ist nach Marx auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit, für die geistige und körperliche Kräfte eingesetzt werden. Sie ist auf die Erzeugung eines ge­sellschaftlichen Produkts gerichtet und somit Mittel zur Befriedigung menschlicher Le­bensbedürfnisse. Die zur menschlichen Reproduktion notwendige unbezahlte Arbeit findet nach Marx außerhalb der Erwerbsarbeit statt und gehört nicht zur Lohnarbeit, ist also Nichtlohnarbeit und daher keine Arbeit. Sie ist – der Marx’schen Theorie zufolge – «zweckfreie Tätigkeit». Dass «zweckfreie Tätigkeiten» oder «Arbeit ohne Zwangscharak­ter», wie Marx sie auch nennt, «verdammter Ernst», also harte Arbeit sein kann, wird auch von ihm gesehen. Allerdings versteht er darunter offenbar eher künstlerische Tätig­keiten als Hausarbeit, wie aus folgendem Zitat deutlich wird: «Wirklich freies Arbeiten, z. B. Komponieren, ist gerade zugleich verdammter Ernst, intensivste Anstrengung» (Marx 1857/58: 505).

Kriterien für einen erweiterten Arbeitsbegriff

Notwendig wird eine feministische Wissenschaftskritik, die den traditionellen Begriff Ar­beit kritisiert und als völlig falsch entlarvt. Die bloße Erweiterung des Arbeitsbegriffs um Reproduktionsarbeiten oder «sorgende Arbeiten» (Biesecker/Winterfeld 1998: 48) oder Care-Tätigkeiten (Madörin 2001: 41) reicht nicht aus. Die Kritik der Arbeit in kapitalis­tischen Verhältnissen zielt über die Forderung nach Einbeziehung aller jetzt unbezahlt geleisteten Arbeiten in die Lohnform hinaus, wie es z. B. die Hausarbeitsdebatte der Frauenbewegung der 1970er Jahre beinhaltete (vgl. Bock/Duden 1977). Schließlich geht es um eine Kritik an der Lohnförmigkeit auch der jetzt bezahlt geleisteten Arbeit und der Abhängigkeit der bloßen Existenz vom gezahlten Lohn. Diese Kritik muss geschlechts­spezifisch geführt werden. Die Kritik muss auch die Inhalte aller Arbeitsbereiche erfas­sen. Sie muss die Scheidung zwischen dispositiven Faktoren (Planung, Anweisung, Or­ganisation) und ausführenden Faktoren in allen Arbeitsbereichen enthalten, ebenso wie sie die Ausrichtung auf lebenslange Ganztagsarbeit (für Männer) kritisieren muss, und die Ausrichtung auf lebenslange Sorgearbeit (für Frauen) andererseits. Neben die Pro­blematisierung inhumaner fremdbestimmter Arbeitsbedingungen in der Produktionsar­beit muss die Problematisierung des kommunikationslosen Charakters der Arbeit in den Küchen und Kinderzimmern treten, die ebenso wie viele Formen der «Eigenarbeit», Sub­sistenzarbeit und anderer nicht marktvermittelter Versorgungsarbeit vom toten Kapital definiert wird, genau so wie die Arbeit in der großen und kleinen Fabrik. Sie ist nicht al­lein schon deshalb humaner, weil sie angeblich unbezahlbar ist.

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, dass sowohl im Bereich der (jetzt) be­zahlt geleisteten Arbeiten, als auch im Bereich der (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeiten gesellschaftlich notwendige und nützliche Tätigkeiten verrichtet werden, umgekehrt fal­len in beiden Bereichen Tätigkeiten an, die diesen Kriterien nicht entsprechen. Soll (zunächst) die Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit beibehalten werden, so wäre unter «Produktionsarbeit» die instrumentell gebundene, zielgerichtete, gesellschaftlich nützliche Tätigkeit in Produktion und Dienstleistung zu verstehen. Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit (oder einer anderen das Einkommen sicherstellenden Erwerbsarbeit), die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft und des menschlichen Lebens notwendig sind, wären dann «Reproduktionsarbeiten».

Der Reproduktionsbereich bezeichnet jedoch nach dieser Definition kein «Reich der Freiheit», das dem «Reich der Notwendigkeit» entgegengesetzt ist. Die Arbeiten, die dort geleistet werden, sind vielfältig strukturiert und stets komplementär zum Produktions­prozess. Durch die Abkoppelung von der unmittelbaren Einflussnahme des kapitalisti­schen Verwertungsprozesses werden dort Zeitstrukturen, Arbeitsformen und psychisch­emotionale Beziehungsweisen möglich, ohne die die Lebens- und Arbeitsfähigkeit der Individuen nicht erhalten und erzeugt werden könnten (vgl. Negt/Kluge 1972). Produk­tions- wie Reproduktionsarbeiten können sowohl mit Mühsal verbunden sein, wie auch Befriedigung, Lust und Selbstbestätigung verschaffen.

Dieser «erweiterte» Arbeitsbegriff umfasst alle Formen von Erwerbs- und Reproduk­tionsarbeit. Er schließt auch jene Aktivitäten ein, die Hannah Arendt in «arbeiten», «her­stellen» und «handeln» unterteilt, also die Aktivitäten zur Sicherung der Gattung und des Am-Leben-Bleibens, die Produktion einer künstlichen Welt von Dingen, «die unserem flüchtigen Dasein Bestand und Dauer entgegenhält» (= herstellen), und das Handeln, das «der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient» (Arendt 1981: 15). Jede Aktivität greift gestaltend und kulturbildend in unsere Verhältnisse ein, zwar nicht jede mit gleichem Gewicht, aber keine ohne Bedeutung.

Arbeit ist danach sowohl bezahlte Erwerbsarbeit – die wiederum zu unterteilen ist in ungeschützte prekäre Erwerbsarbeit, Teilzeitarbeit, tariflich abgesicherte Arbeit und selbstständige Arbeit –, als auch Haus- und Sorgearbeit, Erziehungsarbeit, Pflegearbeit für Alte, Kranke und Behinderte, unbezahlte Konsumarbeit, Subsistenzarbeit, ehrenamtliche politische und kulturelle Arbeit, bürgerschaftliches Engagement, «freiwillige» unbezahlte soziale Arbeit, unbezahlte Arbeit in Selbsthilfegruppen (vgl. Notz 1989a: 39f.). Ein Ar­beitsbegriff, der sich auf die Analyse des gesamten Spektrums von Arbeit bezieht, unab­hängig von der Entlohnung, muss allerdings auch von verschiedenen Arbeitsorten ausge­hen: Neben Industriebetrieben, kleinen und mittleren Unternehmungen, Verwaltungen und Projekten und Betrieben aus der Alternativökonomie sind das Einrichtungen im So­zial- und Gesundheitsbereich, Wohlfahrtsorganisationen, Vereine und Verbände, «Mehrgenerationenhäuser», die bürgerschaftliches Engagement und ehrenamtliche Ar­beit organisieren, Projekte der sozialen Bewegungen und freilich auch Familien oder an­dere Wohn- und Lebensgemeinschaften, in denen Haus- und Sorgearbeit organisiert wird. Ein solcher Arbeitsbegriff erfordert einen erweiterten Begriff von Wirtschaften, der Erwerbs-, Gemeinwesen-, Versorgungs-, Subsistenz- und Haushaltsökonomie ein­schließt und gleichgewichtig betrachtet. Es geht also nicht nur um einen neuen Arbeits­begriff, sondern um einen Begriff von Wirtschaft, der alle ökonomischen Bereiche ent­hält, den Zusammenhang zwischen Reproduktion und Produktion herstellt sowie die Trennung zwischen ökonomischen und (scheinbar) außerökonomischen Bereichen überwindet. Die bestehenden Geschlechterverhältnisse sind so strukturiert, dass die in der Familie und anderen Lebensformen sowie sozialen Organisationen geleistete unbe­zahlte Arbeit Marktaktivitäten überhaupt erst möglich machen. Andererseits sind die be­zahlt geleisteten Marktaktivitäten Voraussetzung für die angebliche Unbezahlbarkeit der Haus-, Sorge- und Fürsorgearbeiten. Wesentliche wirtschaftliche Zusammenhänge kön­nen daher nicht verstanden werden, wenn der Blick nicht auf die gesamte Ökonomie und die Arbeit als Ganzes gerichtet wird und wenn die unterschiedlichen Arbeits- und Le­benssituationen von Frauen und Männern in den verschiedenen Bereichen nicht in Be­tracht gezogen werden. Auch die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit fin­det nicht nur im Inneren der Fabrik statt.

Die beiden Hauptkategorien (Produktions- und Reproduktionsarbeiten) lassen sich nur analytisch trennen. Geht man bei der Definition von Produktionsarbeit alleine von der Tätigkeit des Produzierens aus, so müssten auch viele Arbeiten außerhalb der Lohn­arbeit dazugezählt werden, weil auch dort produziert wird. Faktisch müssen Hausar­beitsverhältnisse den Produktionsverhältnissen zugerechnet werden, wenn sie von Putz­frauen, Hausangestellten oder Kinderfrauen gegen Entgelt geleistet werden. Auch leisten «reine Hausarbeiterinnen» Arbeiten, die zu den Produktionsarbeiten gehören; nämlich dann, wenn sie z. B. stundenweise unterbezahlte Aushilfsarbeiten verrichten oder selbst­gefertigte Produkte gegen Entgelt veräußern. Ein Beispiel, das ich oft Gesprächspartnern gegenüber benutzt habe, um auf die Unsinnigkeit der Trennung von Arbeit und Nicht-Arbeit besonders im Blick auf Frauenarbeit hinzuweisen, ist das Brotbacken: Backt eine Frau von ein und demselben Teig in ein und demselben Herd zwei Brote und veräußert das Brot A auf einem Wohltätigkeitsbasar, so hat sie gearbeitet. Nicht jedoch gearbeitet hat sie für das Brot B, das sie selbst, ihr Mann und ihre Kinder zum Frühstück essen. Auch künstlerische Arbeit liegt quer zu den Arbeitsbereichen. Vielleicht erscheint die Unter­scheidung zwischen bezahlt und unbezahlt geleisteten Arbeiten ertragreicher, aber auch dann bleibt – z. B. bedingt durch vielfältige geringfügige Beschäftigungen, sog. ehren­amtliche Tätigkeiten mit kleinen Aufwandsentschädigungen – ein Grenzbereich übrig; auch Tauschgeschäfte können warenförmig sein.

An der Tatsache, dass die Zuordnungen zu den verschiedenen Arbeitsverhältnissen so­wie die Trennung von unbezahlter und bezahlter Arbeit auch die geschlechtshierarchi­schen Beziehungen zwischen Männern und Frauen bestimmen, ändern diese Verwi­schungen nichts. Auch wenn wir wissen, dass Männer und Frauen in der Realität keine klar gegeneinander abgegrenzten, in sich homogenen Bevölkerungsgruppen sind, ist es nach wie vor die binäre Strukturierung von Öffentlichkeit und Privatheit, die die alltäg­liche Praxis der Arbeitsverteilung bestimmt. Es ist die Konzeptionierung der Frau als Hausarbeiterin, die dazu führt, dass viele Frauen, auch wenn sie heute gut ausgebildet sind, (vorübergehend) in ökonomischer Abhängigkeit leben müssen. Meist ist es die Ent­scheidung für ein Kind oder die Übernahme der Verantwortung für ein pflegebedürfti­ges Familienmitglied, die dazu führen. Die Notwendigkeit für diese Abhängigkeit wird dann mit der Doppelorientierung der Frauen auf Familie und Beruf begründet. Tatsäch­lich lassen sich für die meisten Frauen die Arbeitsbereiche Erwerbsarbeit und Hausarbeit nicht auseinanderreißen, weil sie über weite Strecken ihres Lebens den physischen und psychischen Anforderungen in beiden Bereichen ausgesetzt sind und diese ausbalancie­ren müssen (vgl. Becker-Schmidt et al. 1982; Notz 1991). Die immensen Benachteili­gungen, die sich für Frauen aus der «Doppelorientierung» ergeben, setzen jedoch vor der Mutterschaft an, wirken weit über diese hinaus und betreffen auch Frauen, die niemals Mütter waren oder werden wollen. Erst die Aufhebung der Trennung beider Arbeitsbe­reiche (Produktion und Reproduktion) macht die Neubewertung und Neuverteilung der «ganzen Arbeit» möglich.

Ziele eines erweiterten Arbeitssbegriffs

Die Diskussion um die Zukunft der Arbeit kann sich nicht auf die Arbeit im Produkti­onsbereich beschränken. Sie muss von einem umfassenden Arbeitsbegriff ausgehen, der (jetzt) bezahlt und (jetzt) unbezahlt geleistete Arbeit einschließt. Ein solcher Arbeitsbe­griff ist in den Überlegungen zur Arbeitsmarktpolitik nicht zu erkennen. Ein Blick auf die Arbeit als Ganzes wird aber dringend notwendig, wenn die gesellschaftlich notwen­dige Arbeit gerechter und gleichberechtigter verteilt werden soll. Freilich geht es nicht nur um eine begriffliche Kritik am Verständnis von Arbeit. Konstruktive Kritik am Ar­beitsbegriff kann überhaupt nur unter den Bedingungen einer Zielvorstellung, also einer Vorstellung vom Anderen, Besseren, von sinnvoller Lebens-Arbeit erfolgen. Schließlich geht es um die Aufhebung der entfremdeten Arbeit und um «persönlichkeitsfördernde Arbeit» in allen Arbeitsbereichen sowie um die Teilhabe von Männern und Frauen am ganzen Leben. Die Kritik muss mit einer Utopie zusammengebracht werden. Das hieße, eine Verallgemeinerung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (bezahlter und unbezahlter, auch gemeinwesenorientierter und ehrenamtlicher Arbeit) auf alle anzustreben, ebenso wie ein Recht auf eigene Existenzsicherung durch sinnvolle und selbstbestimmte Arbeit für alle Menschen, die das wollen, zu verankern. Erst durch die Möglichkeit der eigen­ständigen Existenzsicherung können die befreienden und die sozialen Dimensionen nichtmarktförmiger Arbeit ohne zusätzliche Ausbeutung Wirklichkeit werden. Ziel wä­re ein Arbeitsverständnis, in dem Erwerbsarbeit, Haus- und Sorgearbeit, Subsistenzar­beit und die Arbeit im sozialen, politischen, kulturellen, künstlerischen und gemeinwe­senorientierten Bereich zeitlich, räumlich und inhaltlich eine Einheit darstellen, in die die Verantwortung für die Mit- und Umwelt und die Sorge und Hilfe für menschenwür­diges Leben von Kindern, Jugendlichen, Kranken und alten Menschen integriert werden kann. Dies wäre eine Gesellschaft, in der die «freie Entwicklung eines jeden die Bedin­gung für die freie Entwicklung aller ist» (Marx/Engels 1848: 482).

Notwendige Voraussetzungen sind eine radikale Verkürzung der Vollzeiterwerbsarbeit und ein Abbau von Überstunden in diesem Bereich, eine Wiederaufnahme der Diskus­sion um «Humanisierung und Demokratisierung der Arbeit» und um eine Erweiterung der Handlungsspielräume in der Arbeit – und zwar für alle Bereiche von bezahlt und un­bezahlt geleisteter Arbeit. Notwendig wird auch eine Neubewertung der Arbeitsbereiche, Mindestlohn und Mindestrente, die Bereitstellung pädagogisch und pflegerisch wertvol­ler Infrastruktur und bildungspolitische und gesellschaftliche sowie normative Regelun­gen, die geeignet sind, die Verweigerungshaltung der Männer im Blick auf die (individu­elle und kollektive) Übernahme von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit und der damit verbundenen Verantwortung zu brechen. Dass eine solche Neugestaltung aller Arbeits­aufgaben mit der Qualifizierung der Personen für alle Arbeitsbereiche einhergehen muss, versteht sich von selbst. Neben den fachlichen und pflegerischen Kompetenzen sind so­ziale und kritische Kompetenzen notwendig, die dazu befähigen,sich kritisch mit der be­trieblichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen (vgl. Notz 1999b: 91). Um solche Qualifikationen anzuwenden braucht es freilich auch überall «entwicklungsfördernde Arbeitsbedingun­gen» (Volpert 1994: 105), die Kooperation und unmittelbaren zwischenmenschlichen Kontakt ermöglichen und fördern.

Konzeptionelle Überlegungen

Innerhalb der soziologischen Frauenforschung hatte sich – ausgehend von einem globa­len Konsens in der Ablehnung von Frauenunterdrückung und Frauenausbeutung – be­reits in den 1970er Jahren die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer «feministischen Gesellschaftstheorie» durchgesetzt, die die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung pro­blematisiert und der ein erweiterter Arbeitsbegriff zu Grunde gelegt wird. Die Diskus­sionen um die Lösung der mit der Arbeitsteilung verbundenen Diskriminierungen wur­den kontrovers geführt, sie thematisierten eine Fülle miteinander verflochtener Aspekte: Von der Forderung nach «Lohn für Hausarbeit» bis zur Forderung nach gleichberechtig­ter Beteiligung an der Erwerbsarbeit für Frauen. In Die Macht der Frauen und der Um­sturz der Gesellschaft wandten sich Mariarosa Dalla Costa und Selma James (1973) gegen die marxistische These, Hausarbeit sei keine produktive, wertschöpfende Arbeit und stellten die Behauptung auf, die Sklaverei des Fließbands sei keine Befreiung von der Skla­verei des Spülbeckens. Ihre Forderung nach «Lohn für Hausarbeit» sorgte für heftige Kontroversen innerhalb der Frauenbewegungen. Ingrid Strobl argumentierte daraufhin «Wider den Hausfrauenlohn!» (1981: 161f.) und leitete damit eine umfangreiche Debat­te über den Komplex Frauenarbeit ein. Noch 1977 wurde auf der 2. Berliner Sommeruni­versität heftig über dieses Thema gestritten. Teile der Frauenbewegungen erhofften sich durch eine Entlohnung der Hausarbeit (durch den Staat), dass diese Arbeit gesellschaft­lich sichtbar und wertvoll wird und Technologien eingesetzt werden, sie zu reduzieren. Wenn Frauen materiell unabhängig sind, so wurde erwartet, sind sie auch imstande, die Organisationsform von Hausarbeit in Frage zu stellen, also diese Arbeitsform zu verwei­gern und ihre Vergesellschaftung zu fordern. Konzepte standen allerdings nicht zur Ver­fügung, und außer in einigen Wohngemeinschaften studentischer oder intellektueller In­dividuen wurde kaum von der Einbeziehung der Männer – individuell oder kollektiv – in diese Arbeitsform gesprochen. Ebenso unterblieb weitestgehend die Problematisie­rung der Delegierung der Reproduktionsarbeiten an unterpriviligierte Frauen, schon da­mals meist Migrantinnen.

Sozialistische Feministinnen setzten auf volle Integration in die Berufsarbeit, lösten aber gleichzeitig eine Kritik am marxistisch-männlichen Arbeitsbegriff aus. Die marxis­tische Gesellschaftstheorie bot zwar den Raum für eine Theorie der Frauenbefreiung, aber eine unkritische Übernahme der marxistischen Konzepte und Thesen würde un­weigerlich zu Schwierigkeiten führen: Weil die Kritik der Politischen Ökonomie lediglich zur Analyse der Funktionsweise des Kapitalismus entworfen worden waren und der Be­griff der «produktiven Arbeit», so wie er im Kapital verwendet wird, den größten Teil der überwiegend durch Frauen geleisteten Arbeiten nicht erfasst. Marx entwickelt im Kapi­tal die Elemente des Arbeitsprozesses und den Gedanken der Mehrarbeit. Diese wird be­zogen auf das produktive Vermögen der Arbeit und auf die unabdingbare Arbeitsmenge, die zur Reproduktion der Arbeitsfähigkeit nötig ist. Die Reproduktion selbst bleibt wie­derum als Arbeit unberücksichtigt.

Die Marxistin Christel Neusüß wies Anfang der 1980er Jahre mit ihrer Marx-Kritik auf die Notwendigkeit der Einbeziehung des Privaten in das Politische hin. Denn Reproduk­tionstätigkeiten erscheinen zur Schaffung einer Privatspäre geeignet, deren Existenz und Gestaltung (scheinbar) im Belieben eines jeden Einzelnen (bzw. einer jeden Einzelnen) steht. Neusüß nimmt das Problem der Zuordnung dieser Tätigkeiten zum Bereich der Nichtarbeit, also zur «Freizeit» auf: «Freie Zeit, Reich der Freiheit, der freien Entwicklung – im Unterschied zur Arbeit, dem Reich der Notwendigkeit, der unfreien Tätigkeit» (1985: 136), das würde für Männer etwas grundsätzlich anderes bedeuten als für Frauen.

Für den Arbeitsmann solle sich das «freie Schöpfertum» in der arbeitsfreien Zeit entfal­ten. Neusüß arbeitete heraus, dass das für die Arbeitsfrau oder auch die Frau des Arbei­ters nicht zutrifft. Sie wandte sich gegen einen marxistischen Arbeitsbegriff, nach dem es nach der produktiven Arbeit in der Fabrik nichts mehr zu tun gäbe und verwies auf die vielfältigen häuslichen und familialen Tätigkeiten, die der «Mann Marx» außer Acht ge­lassen habe (vgl. Neusüß 1983).

Eine Neubewertung und Neuverteilung, für die ich mich ausspreche, setzt allerdings auch die Frage voraus, welche Arbeiten in den verschiedenen Arbeitsbereichen wün­schenswert und sinnvoll sind (vgl. auch Notz 2004). Destruktive Tätigkeiten, die der Zer­störung von Mit- und Umwelt und kriegerischen Auseinandersetzungen dienen, sind dies sicherlich nicht, auch wenn sie heute meist mit großer gesellschaftlicher Akzeptanz und hoher materieller Alimentation versehen sind. Die Tatsache, dass das Militär mittler­weile auch überall Frauen beschäftigt, kann ich nicht als emanzipatorischen Akt be­zeichnen. Für mich fallen solche Arbeiten nicht unter Produktionsarbeiten und schon gar nicht gehören sie zu den Reproduktionsarbeiten. Ich zähle sie zum Bereich Destruk­tion (vgl. auch Notz 1999a). Arbeit in Initiativen, die sich gegen Zerstörung wenden, wä­re gesellschaftlich nützliche Arbeit und daher unter die Reproduktionsarbeiten zu sub­sumieren, sie wären in diesem Zusammenhang wünschenswertes bürgerschaftliches En­gagement. Betriebliche Initiativen zur Konversion von Vernichtungs- und Rüstungsin­dustrie gehören selbstverständlich in den Bereich der Produktionsarbeiten. Die Schwie­rigkeiten einer Abgrenzung zwischen Destruktion und Produktion – wie auch zwischen Produkt und Destrukt – liegen in der modernen Technikgesellschaft auf der Hand. Ob Arbeitsplätze in der Automobilindustrie bereits «Todesplätze» (Jungk) sind, ist schwer­lich einfach zu beurteilen. Technik – z. B. in Form des Autos – kann Gegenstand von Ar­beit sein, Gebrauchsgegenstand für das Subjekt, Vehikel für persönliche Freizügigkeit oder auch – global betrachtet – Instrument von Umweltvernichtung (Siebel 1990: 18).

Eine andere Arbeitsform, die mit dem oben entwickelten Arbeitsbegriff ebenfalls nicht erfasst wird, ist die «Beziehungsarbeit». Sie wurde in der Frauenforschung bis zur Ein­führung des Begriffs Care-Arbeit oft verwendet. Kontos/Walser (1979: 97ff.) benutzen diesen Begriff, um damit die psychischen Dimensionen der Hausarbeit zu fassen. Diese psychischen Dimensionen grenzen sie ab von der materiellen Hausarbeit. Die Schwie­rigkeit einer empirischen Trennung führen sie auf die Unsichtbarkeit der «Beziehungs­arbeit» und die Vermischung derselben mit der «von Arbeit unabhängigen Interessen an menschlicher Beziehung» zurück. Abgrenzungsprobleme ergeben sich vor allem durch die psychische Durchdringung auch «einfacher» materieller Hausfrauentätigkeiten. Wie lassen sich z. B. «materielle Hausarbeit» und «Beziehungsarbeit» beim Putzen der Nase eines zweijährigen Kindes trennen, das gerade hingefallen ist und gleichzeitig die Tränen abgewischt bekommt und getröstet wie auch gepflastert werden muss? Die psychische Durchdringung erstreckt sich außerdem gleichermaßen auf Hausarbeit wie auf unbe­zahlte ehrenamtliche Arbeit und bezahlt geleistete Arbeit. Sie trifft ebenso auf die bezahlt geleistete Erziehungsarbeit zu, wie sie durch Tagesmütter oder in einer Institution arbei­tende Erzieherinnen erbracht wird.

Zweifelsohne sind also mit dem Begriff «Beziehungsarbeit» Anforderungen bezeich­net, die sowohl in der Reproduktionsarbeit, als auch in der Produktionsarbeit vorwie­gend von Frauen verlangt und auch erfüllt werden. Ein Blick in die Geschichte der Pro­fessionalisierung der Heil- und Pflegeberufe zeigt, dass das Image solcher Frauenberufe seit Beginn der Industrialisierung von der jeweiligen gesellschaftlichen Bewertung der «Beziehungsarbeit» abhängt. Das führt dazu, dass einerseits unterstellt wird, die not­wendigen Qualifikationen könnten gar nicht erlernt werden, weil sie zum Repertoire «weiblicher Fähigkeiten» gehörten, andererseits wird angenommen, dass in Folge kom­plexer werdender psychischer und physischer Notlagen eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung dringend erforderlich sei (vgl. Notz 1989b). Die jeweilige Bewertung der Ar­beit ist abhängig davon, ob genügend Frauen zur Verfügung stehen, die diese Arbeit un­bezahlt leisten können. Auch davon, ob Männer es wünschenswert finden, in diese Ar­beitsbereiche «einzudringen» und in welcher Höhe staatliche Mittel für diese Arbeiten bereitgestellt werden, und davon, ob die Wirtschaft die Eingliederung der Frauen braucht oder nicht, also von Sozial-, Familien- und Wirtschaftspolitik gleichermaßen. Ich fasse «Beziehungsarbeiten» in meinen Arbeiten nicht unter dem Arbeitsbegriff, weil sie mit al­len anderen Arbeiten kohärent sind. Ich betrachte sie als eine zur Ausübung der ver­schiedenen Arbeiten notwendige Qualifikation. In diesem Zusammenhang zählen sie zu den sozialen Qualifikationen, die – im Sinne einer Entpolarisierung der Geschlechter­verhältnisse – von Frauen wie Männern in allen Arbeitsverhältnissen zu erbringen wären.

Etwas anders verhält es mit der Care-Ökonomie. Nach Mascha Madörin bezieht sich der Begriff auf «alle bezahlt und unbezahlt geleisteten Tätigkeiten, bei denen Menschen für andere sorgen oder für die alltägliche Versorgung anderer Menschen zuständig sind. Diese Tätigkeiten beziehen sich auf die Umwandlung von standardisierten und indust­rialisierten Gütern und Dienstleistungen für einen den unterschiedlichsten Bedürfnissen angepassten täglichen Verbrauch innerhalb und außerhalb des Haushalts, auf das Auf­ziehen von Kindern, auf die Pflege von Menschen und andere Formen von Beziehungs­arbeit. All diese Tätigkeiten und die Art und Weise, wie sie getan werden, machen einen wesentlichen Teil des Lebensstandards einer Gesellschaft aus.» (Madörin 2001: 41.) Die Arbeitsabläufe für die Care-Ökonomie sind weit weniger planbar als im übrigen Pro­duktionsbereich. Mascha Madörin (2001) kritisiert, dass auf Grund der Borniertheit der Wirtschaftstheorien das ökonomische Merkmal «care» also «Sorge», in Statistiken nicht berücksichtigt wird, weshalb auch der Zeitanteil, der auf solche Tätigkeiten entfällt, nur geschätzt werden könne.

Sarah Schilliger (2010) führt diese Nichtbeachtung in der Statistik vor allem darauf zurück, dass diese Arbeiten trotz der Forderungen der Neuen Frauenbewegung «Das Pri­vate ist politisch» als «Privatsache» taxiert werden, jedenfalls so weit es sich um unbe­zahlte Care-Arbeiten handelt. Auch das hängt mit dem verengten Arbeitsbegriff zusam­men. Care-Ökonomie wird in ihrer bezahlt und unbezahlt geleisteten Form hauptsäch­lich durch Frauen geleistet. Madörin schätzt, dass in der Schweiz vier Fünftel der gesam­ten Arbeitsstunden von Frauen auf diese Arbeiten entfallen, bei den Männern sind es zwei Fünftel. Etwa ein Zehntel der Erwerbsarbeitsstellen der Männer gehören zur Care-Ökonomie, bei den Frauen etwa ein Drittel. Das unbezahlte Volumen ist in der Schweiz siebenmal größer als das bezahlte. Dies ist in der BRD nicht anders. Für das unbezahlte Arbeitsvolumen wird mit dem Ruf nach Familien- und Gemeinsinn geworben, das Be­zahlte fällt mehr und mehr dem Sozialabbau zum Opfer und wird zum Unbezahlten. An­gesichts der aktuellen globalen Krise und dem viel zitierten demografischen Wandel brei­tet sich die Care-Ökonomie immer weiter aus. Aus dem siebten Familienbericht der Bun­desregierung (BMFSFJ 2006) geht es hervor: Wir stehen vor einer «kopernikanischen Wende» bezüglich der Gestaltung von «Care», weil die Rückkehr zur ehemaligen Ge­schlechterlösung des Ernährermodells in demokratischen Gesellschaften nicht mehr möglich sei. Konstatiert wird: «Diese Entwicklungen [Zunahme der Care-Arbeit] betref­fen immer noch vorrangig den weiblichen Part in der Familie, wiewohl die Beteiligung der männlichen Seite langsam zunimmt» (BMFSFJ 2006: 170). Frauen werden also trotz zunehmender Erwerbstätigkeit weder vom Staat noch von den Männern von der enor­men Gratisarbeit entlastet. Der Ausbau einer öffentlichen Care-Infrastruktur bleibt aus.

Verbreiteter scheinen, zumindest für besser verdienende Familien, neue Dienstbotin­nenmodelle, durch die weiße deutsche Frauen auf Kosten von Frauen begünstigt werden, die illegalisiert leben oder aus den armen Ländern der Welt kommen. Das ist eine schlechte Lösung des Problems, denn so bleiben die Arbeiten weiter privat. Care-Arbeit wird kommodifiziert und verwandelt sich zu einer äußerst schlecht bezahlten Ware, die man auf dem Dienstleistungsmarkt «einkaufen» kann. Das führt nicht nur zur Beibehal­tung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sondern auch zu neuen Unterschich­tungen (auch) unter Frauen. Was Lily Braun bereits um die Jahrhundertwende schrieb, gilt auch heute noch: «Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil sei­ner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person» (Braun 1979: 46). Und heute gibt es keine Dienstmädchenvereine, die – wie im Zusammenhang mit der «alten» Frauenbe­wegung – für mehr Rechte dieser extrem ausgebeuteten Frauen kämpfen. Die Frage, ob unter emanzipatorischen Gesichtspunkten eine Ausweitung des Beschäftigungsfelds von Dienstbotinnen überhaupt wünschenswert ist, wird nicht mehr diskutiert, im Gegenteil: Die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft wird als Innovation gefeiert. Dass die Pflege von hilfsbedürftigen Menschen und die Erziehung von Kindern professionell gut ausge­bildetes Personal, das dann auch entsprechend zu entlohnen ist, voraussetzt, wird dabei total außer Acht gelassen, ist aber eine Binsenweisheit.

Wenn die Rollenaufteilung zwischen Haupternährer und Hausfrau bzw. Zuverdiene­rin in kleinfamilialen Lebensformen nicht bzw. nur auf Kosten anderer Frauen aufzu­weichen sind, wird es notwendig, die Kritik an der Verteilung der Reproduktionsarbei­ten nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern auch schichtspezifisch zu führen. Daraus er­gibt sich dann die Reformulierung an der Kritik der kleinfamilialen Lebensform, wie sie Anfang der 1970er Jahre (in der BRD) geführt wurde und wie sie in die Konzepte einiger Kommunen aufgenommen worden ist, ebenso zu diskutieren wie die Kritik an der be­trieblichen Arbeitsorganisation und am Arbeitsbegriff. Als positives Beispiel soll die Le­bens- und Arbeitsgemeinschaft Kommune Niederkaufungen dienen: In der aus 80 Men­schen zusammengesetzten Kommune, in der die Menschen in unterschiedlich zusam­mengesetzten Kleingruppen, nicht jedoch in Kleinfamilien leben, werden alle Arbeiten gleich bewertet; es gibt keine herkömmliche Haus-, Erziehungs- oder gar «Familien»ar­beit und damit auch keine biologisierten Familienrollen. Die Reproduktionsarbeiten werden zum großen Teil vergemeinschaftet und den Produktionsarbeiten gleich gestellt. DasVerhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist in verschiedenen professionellen Arbeitsbereichen aufgelöst. Schreinerei und Küche (Komm-Menü) arbeiten ebenso wie alle anderen Arbeitsbereiche für die Kommune und übernehmen Außenaufträge. Kin­dergarten und Altentagespflege sind für Kinder und Alte von drinnen und draußen geöff­net und arbeiten mit für ihre Arbeit ausgebildetem Personal in eine gemeinsame Kasse. Die (meisten) Männer erweisen sich ebenso kompetent in der Verrichtung von Sorgear­beiten, wie die (meisten) Frauen. Auch in den Werkstätten arbeiten Frauen genauso selbstverständlich wie Männer.

Handlungsoptionen für das Politikfeld Arbeit

Betrachten wir Konzepte und Strategien zur Lösung der aktuellen Arbeitsmarktproble­me, so wird die Verkehrung dessen, was mit der Erweiterung des Arbeitsbegriffes beab­sichtigt ist, deutlich. Der eingeforderte erweiterte Arbeitsbegriff wird aufgenommen und geradezu ins Gegenteil verkehrt, indem bisher im Bereich der Reproduktion angesiedel­te Tätigkeiten als Arbeit ideologisch aufgewertet werden und Ersatzfunktionen zur Ab­milderung sozialstaatlicher Abbaustrategien übernehmen sollen. Der Staat verabschiedet sich aus der Verantwortung für das Gemeinwohl, indem er an den Gemeinsinn von Bür­gerinnen und Bürgern appelliert (Notz 1999b). Menschen, die der bezahlte Arbeitsmarkt nicht braucht, sollen danach in den neuen und alten Freiwilligendiensten (z. B. den neu­en Bundesfreiwilligendienst mit 330 Euro Aufwandsentschädigung), um die Löcher des wegfallenden Zivildienstes zu ersetzen, oder sie sollen mit Bürgerarbeit (Beck 1997, Kommission für Zukunftsfragen 1997) als Pflichtarbeit, 1-Euro-Jobs, Lohn für Famili­enarbeit und Erziehungsgehalt, wie es immer wieder diskutiert wird (Leipert/Opielke 1998)1, ausstaffiert werden.

In der Zukunft muss es darum gehen, die herkömmliche Trennung von ökonomisch und außerökonomisch, sowie deren geschlechterspezifische Zuordnung grundsätzlich in Frage zu stellen. Daraus kann dann abgeleitet werden, welcher institutionellen Ände­rungen es in Beruf, Gemeinwesen, Politik und Haushalt bedarf, damit Frauen und Män­ner die dort anfallenden Arbeiten ebenbürdig erledigen können und damit Geschlech­terdifferenzen und schichtspezifische Differenzen abgebaut werden.

Innerhalb der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft gibt es bereits Individuen und Gruppen, die versuchen, ihre eigenen Strukturen zu schaffen, um Arbeitsmöglichkeiten und Zusammenlebensformen jetzt und heute nach ihren Wünschen zu gestalten (vgl. Notz 2011). Einige Projekte verbinden Leben und Arbeit in allen gesellschaftlich not­wendigen und nützlichen Bereichen und fragen danach, wie sie gesellschaftlich sinnvoll arbeiten können, ohne die Umwelt, sich selbst und andere Menschen weiter auszubeu­ten und zu gefährden. Genossenschaftliche und kommunitäre Arbeits- und Lebensfor­men, in denen sich Menschen zusammenschließen, um gemeinsam Dinge zu tun, die sie alleine gar nicht tun wollen oder können, und weil sie mit anderen zusammenleben, ganzheitlich und solidarisch, ohne patriarchale Hierarchien und ohne geschlechtsspezi­fische Arbeitsteilung arbeiten wollen, gehen in diese Richtung. «Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft»2 haben sie ein Fenster in eine herrschaftsfreie, wirtschaftlich, öko­logisch und sozial nachhaltigen Gesellschaft aufgetan. Sie setzen auf die Kraft des Vorle­bens und des Experiments. Sie sind Schritte zur Verwirklichung des Projekts einer ande­ren Gesellschaft mit sozialer und geschlechterspezifischen Ebenbürtigkeit. Weitere Schritte und andere Projekte werden folgen. Vielleicht gelingt es solchen Zusammen­schlüssen, durch ihre Betätigung «nach außen hin immer weitere Gebiete zu erschließen und ihre Anschauungen in neue Kreise zu tragen» (Rocker 1947).

Anmerkungen

  1. Zum Konzept Bürgerarbeit siehe Beck (1997), zur Kritik daran Notz (1999b). Zur aktuellen bundesweiten Umsetzung ist im Juli 2010 ein Modellversuch gestartet worden, siehe hierzu Notz (2010).
  2. «Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft» ist der Titel einer Schriftenreihe, herausgegeben von Hanna Behrend im Trafo Verlag Berlin.

Literatur

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